Neurogene Blasenstörungen sind Störungen des Harntrakts, die durch Nervenschäden entstanden sind. Zwei Stoffwechselerkrankungen stehen häufig in Zusammenhang mit neurogenen Blasenstörungen: Multiple Sklerose und ein nicht ausreichend behandelter Diabetes mellitus. Aber auch Nervenschäden durch eine Operation oder Querschnittslähmung können neurogene Blasenstörungen hervorrufen.
Über 120.000 Menschen sind von Multipler Sklerose, einer Erkrankung des zentralen Nervensystems, betroffen. Gehirn, Rückenmark und Nerven sind chronisch entzündet, vermutlich aufgrund eines Fehlverhaltens des eigenen Immunsystems, das das körpereigene Nervengewebe angreift und zerstört. Durch die fehlende oder verlangsamte Weiterleitung der Nervensignale funktionieren Muskeln und Organe nicht mehr richtig. In den meisten Fällen sind die Betroffenen zum Zeitpunkt der Erkrankung im jungen Erwachsenenalter. Die Krankheit entwickelt sich meist schubweise über mehrere Jahrzehnte, ihr Verlauf ist aber nicht vorhersehbar.
Auch Harnblase und Beckenboden können vom Verlauf der Multiplen Sklerose beeinflusst werden. Bei bis zu 15 Prozent der Betroffenen ist die Blasenstörung bereits bei der ersten Diagnose vorhanden, häufig sogar als deutlich wahrgenommenes Erstsymptom. Im weiteren Verlauf der Erkrankung sind etwa 50–80 Prozent aller Erkrankten von Blasenstörungen betroffen.
Am Anfang sollte die Behandlung der Haupterkrankung stehen. Dadurch kann unter Umständen der weitere Verlauf stabilisiert und Beeinträchtigungen verzögert werden. Das Ziel der Behandlung ist es, die Lebensqualität des Patienten zu erhalten und Komplikationen, wie beispielsweise häufige Blasenentzündungen durch das dauerhafte Verbleiben von Urin in der Blase, zu vermeiden.
In Absprache mit dem behandelnden Arzt kann die Trink- und Urinmenge schriftlich festgehalten und kontrolliert werden. Kaffee und Alkohol sollten gemieden werden, um die Blase und den Harntrakt nicht zusätzlich zu reizen. Zur Behandlung von Blasenstörungen bei Multipler Sklerose stehen verschiedene Medikamente wie z. B. Anticholinergika zur Verfügung. Ist die alleinige medikamentöse Therapie nicht ausreichend, kann ein Blasenkatheter für Patienten mit Multipler Sklerose eine große Hilfe sein. In den meisten Fällen wird dabei der Selbstkatheterismus empfohlen. Ein suprapubischer Katheter (fest durch die Bauchdecke eingelegter Katheter) ist nur in schweren Fällen anzuraten, da dieser unangenehm für den Patienten sein kann und häufiger zu Blaseninfekten führt.
Die AMSEL e. V. informiert über weitere Therapiemöglichkeiten neurogener Blasenstörungen bei Multipler Sklerose.
Ein verstärkter Harndrang und häufiges Wasserlassen sind die Hauptbeschwerden, wenn Menschen mit Diabetes unter neurogenen Blasenstörungen leiden. Bei fortgeschrittenem Diabetes kann es auch zu Problemen bei der Blasenentleerung und Schwierigkeiten beim Wasserlassen kommen.
Bei Diabetes richtet sich das körpereigene Abwehrsystem aus noch ungeklärten Gründen gegen Zellen in der Bauchspeicheldrüse, die das Hormon Insulin produzieren, das für die Senkung des Blutzuckerspiegels verantwortlich ist. Menschen mit Diabetes sind doppelt so häufig von Blasenstörungen betroffen, wie gleichaltrige Personen ohne Diabetes.
Bei Menschen mit Diabetes kommt erschwerend hinzu, dass sie häufig eine gesteigerte Harnmenge haben, da der hohe Zuckergehalt im Urin dazu führt, dass die Nieren mehr Wasser aus dem Körper ausscheiden. Ist Diabetes über Jahre hinweg schlecht eingestellt, werden Blutgefäße und Nerven durch einen zu hohen Blutzuckerspiegel beschädigt (sogenannte diabetische Polyneuropathie), so können unter anderem Schwierigkeiten bei der Blasenfunktion entstehen. Wird Diabetes gut eingestellt und auf die Werte geachtet, kann das Auftreten von Blasenstörungen vermieden oder zumindest in Schwere und Auftreten vermindert werden.
Anzeichen für eine diabetische Polyneuropathie, die die Blase betrifft, sind Probleme beim Wasserlassen und ein schwacher Harnstrahl. Tritt das Problem länger auf und kommen Probleme bei der Entleerung der Blase hinzu, kann der immer wieder in der Blase verbliebene Restharn zu wiederkehrenden Blasenentzündungen führen. Menschen mit Diabetes nehmen im Falle einer Blasenstörung die Füllmenge der Blase häufig nur abgeschwächt wahr und entleeren ihre Blase daher seltener, dies kann weitere Beschwerden und Gefährdungen verursachen.
Wie andere Kontrollen bei Menschen mit Diabetes, die vor den Folgen zu hoher Blutzuckerwerte schützen sollen (beispielsweise die jährliche Untersuchung beim Augenarzt), sollte auch die Blasenfunktion regelmäßig kontrolliert werden. Mögliche Optionen zur Behandlung einer Dranginkontinenz sind die Einnahme von Medikamenten, wie Anticholinergika oder das Einsetzen eines Blasenschrittmachers. Werden die Probleme rechtzeitig erkannt und die Werte gut eingestellt, können Folgeschäden der Blase und des Harntrakts häufig vermieden werden.
Miriam Schaum